Editorial

Von Musik, Kunst und Drag bis Theater und Festivals: Bebbi Zine ist ein Kaleidoskop mit Sicht auf Menschen der Region Basel (= Bebbi) die eigene Wege gehen, mutig sind, Nischen suchen und Räume schaffen. Sie machen das kulturelle Leben am Rheinknie zu einer einzigartigen und lebendigen Mischung, und verdienen deshalb unsere Aufmerksamkeit.

Zum Eurovision Song Contest (10.–17. Mai, 2025) und zur Kunstmesse-Woche (16.–21. Juni 2025) erscheinen hier Portraits und kuratierte Newsletter mit Veranstaltungshinweisen, für all diejenigen, die gerne mit beschriebener Szene in den Dialog treten wollen.

Viel Vergnügen beim Eintauchen und Lesen!

Künstlerin

Rondi Park

Die Schweiz fühle sich manchmal an, als befinde sie sich im Auge des Sturms des Kapitalismus, sagt die koreanische Künstlerin Rondi Park. «Hier wirken die Menschen entspannter und arbeiten weniger als in Korea, wo jede:r ständig nur ans Geld denkt.» Park, geboren 1993 in Seoul, kam im September 2023 nach Basel und studiert seither an der HGK im Master Kunst. Von Anfang an hat sie sich in ihrer Kunst der Frage gewidmet, wie der Kapitalismus unser Verlangen prägt.

Ihre Arbeiten sind meist farbenfroh und greifen eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien und Techniken auf. Ob sie mit Farbstiften auf Papier zeichnet, mit Gouache auf Lärchenholz malt, glasierte Keramik-Skulpturen anfertigt oder pastellene Stoffe zu grossen Satin-Arbeiten vernäht, immer scheinen ihre Werke stets zugleich die Anziehungskraft wie die Kritik an der Konsumkultur in sich zu tragen. «Mir war es immer wichtig, Kunst zu machen, die visuell befriedigend ist», sagt Park und spricht dabei von einer koreanisch geprägten «Ästhetik der cuteness», die sie in ihren eigenen Arbeiten aufgreift. «Wenn in Korea etwas cute ist, ist es harmlos, man will es beschützen und besitzen.» Gerade diese vermeintliche Verletzlichkeit der cuten Konsumkultur sei für sie ein Mittel, das Manipulative des Kapitalismus aufzuzeigen.

«Schliesslich leben wir inzwischen in einem Zustand, in dem wir selbst nicht mehr wissen, ob etwas noch unser Verlangen ist oder es uns nur eingeflüstert wurde.»

Oft tragen Rondi Parks Werke lange Titel, so auch ihre Arbeit Opposite of Elephant Market, B1, Shelf of imported goods. among toys; «Mom, can you please look at this please? You don’t have to buy me» (2021). In ein hell-lila Banner aus Satin hat Park zahlreiche Kristallketten eines Leuchters eingearbeitet und figurativ-farbenfrohe Stoffstücke eingenäht. Das Verlangen eines Kindes nach einem Produkt im titelgebenden Regal der importierten Güter findet sich hier wieder in den lieblichen Pastelltönen, der sanften Materialität des Satins und dem Glitzern der Kronleuchtersteine.
Was für Kinder das verschämte Verlangen nach Konsumprodukten sein mag, spiegelt sich bei Erwachsenen in ihren Liebesbeziehungen. Für eine Arbeit, deren langen Titel sie mit der Abkürzung Mirror of Desire (2021) versehen hat, verfolgte sie das Liebesleben von zwei Freund:innen über Monate hinweg. «Wir sprachen täglich, und ich wurde fast so etwas wie ihre Therapeutin», sagt Park. Eine Person überlegte sich nach dem zweiten Treffen mit ihrem Tinder-Match, mit dieser Person zusammenzuziehen. Die Überstürzung der Liebesbeziehung findet sich nun im raumgreifenden Gemälde in hellen Gouache- und Farbstift-Strichen in zwei Pferden wieder, die aus dem Bild hinauszugaloppieren scheinen. Dies ist ein Beispiel für jene Gleichzeitigkeit von Witz und Pathos, die ein Kritiker der New York Times kürzlich Park attestierte.

Sie wolle Kunst machen, in der sich ihre Betrachter:innen wiederfinden, sagt Rondi Park. «So werden sie beim Betrachten meiner Kunst selbst zu Protagonist:innen.» Und die Kunst wird wiederum zu jenem Spiegel, in dem wir unser eigenes Verlangen erkennen können.

Text: Timo Posselt
Fotos: Jana Jenarin Beyerlein

Kurator

Philipp Messner

Kühl und schnörkellos wirken die grafischen Motive auf den grossformatigen Plakaten, die einst im Stadtraum für historische Dinge wie den Feueranzünder Meta oder die Zahnpaste Binaca warben. Entworfen wurden die Farblithografien Anfang der 1940er-Jahre vom Basler Maler und Grafiker Niklaus Stoecklin. Bis heute besticht die Werbung, die damals von der Ciba AG oder der Meta AG beauftragt wurde, durch ihre ästhetische Qualität und Sachlichkeit. Philipp Messner, seit 2020 Leiter der öffentlichen Plakatsammlung, die zur Schule für Gestaltung Basel (SfG) gehört, steht zwischen grossen Spezialschränken und erklärt anhand dieser Paradestücke, was es mit dem schönen Wort «Weltformat» auf sich hat.

Die Normgrösse für Werbeplakate (90,5 cm × 128 cm) ist ein spezifisch schweizerisches Format und geht ursprünglich auf einem Vorschlag des deutschen Chemikers und Nobelpreisträgers Wilhelm Ostwald von 1910 zurück. 1912 beschloss das Reklamekomitee der Landesausstellung 1914, alle offiziellen Ausstellungsdrucksachen entsprechend dem ostwaldschen System zu produzieren. Damit avancierte das «Weltformat» zum schweizerischen De-facto-Standard, während sich international die 1922 vom Deutschen Institut für Normung (DIN) lancierten Papierformate durchsetzten.

Rund 100.000 Plakate zählt die auf dem Kunstcampus am Freilager-Platz domizilierte Basler Plakatsammlung. Jährlich kommen zwischen 800 und 1200 neue Plakate hinzu. Damit gehört diese Institution zu den umfangreichsten Sammlungen in der Schweiz. Im Medium Plakat wird die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte greifbar, dazu die Entwicklung einer visuellen Öffentlichkeit – Stichwort Werbung – und der angewandten Grafik. Daher ist die institutionelle Eigendefinition als «bedeutender Teil des visuellen Gedächtnisses der Schweiz» absolut zutreffend. Die Online-Datenbank mit den rund 40.000 digitalisierten Plakaten zeigt, was für ein grosser visueller Schatz am Freilager-Platz gehütet und weiterentwickelt wird. «Jeder Datensatz geht über meinen Schreibtisch», sagt Messner. So hat er sich in den vergangenen Jahren eine tiefgehende Kenntnis der Bestände erarbeitet. Da finden sich etwa Plakate von Emil Ruder, dem prägenden Gestalter der «Basler Schule» in den 1960ern, von Wolfgang Weingart, der in den 1970ern die Profession revolutionierte, oder von der Zürcher Grafikdesignerin Rosmarie Tissi, die 2018 mit dem Grand Prix Design für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Man kann aber auch einfach Suchbegriffe wie «Bally», «Theater», «Abstimmung», «SBB» oder «Optik» in die Suchmaske tippen und schauen, was kommt. Die Suchmaschine lässt übrigens auch Trunkierungen zu.

«Wenn ich Entscheidungen treffe, versuche ich, in die Zukunft zu denken»,

erklärt Messner, der als Archivar und Kulturwissenschaftler auch ein Experte für Geschichte und Formen ihrer Überlieferung ist. Ihm ist bewusst, dass auch er auf Entscheidungen aufbaut, die vor seiner Zeit getroffen wurden. Schliesslich reichen die Anfänge der Sammlung in das Jahr 1896 zurück. Messner, der 1975 in Bern geboren wurde, zieht das Wort «Kustode», die etwas trocken klingende Begrifflichkeit für wissenschaftliche Sachbearbeitung in Museen oder Bibliotheken, dem überstrapazierten Wort «Kurator:in» vor. Er erklärt: «Ich stelle mich in den Dienst dieser Sammlung.» Dabei verbindet er medientheoretisches Wissen – er studierte einst beim renommierten Medien- und Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler in Berlin – mit einer pragmatischen Haltung, die sich eben nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus der archivarischen Praxis speist. Bevor Messner nach Basel wechselte, arbeitete er mehrere Jahre lang am UZH Archiv, dem zentralen Archiv der Universität Zürich. Seine verstreut erschienenen Essays und Artikel lassen sich auf seiner privaten Webseite isotype.ch nachverfolgen. Zusammen mit der Kritikerin und Autorin Lucie Kolb ist Messner zudem Teil des informellen Projektzusammenhangs «distro», der seinerseits zur kollektiv organisierten Initiative InfoSpace gehört, die im selbstverwalteten Kultur- und Atelierhaus Auf dem Wolf 11 (ADW11) ansässig ist.

«Archive sehe ich als demokratische Institutionen», sagt Messner am Ende des Gesprächs. Für die Plakatsammlung gehört dazu etwa, neben dem grafikhistorischen Kanon die Pluralität möglicher weiterer Erzählungen in den Vordergrund zu stellen. Zum Beispiel die bislang eher wenig erforschten drucktechnischen Aspekte der Plakatgeschichte oder das Denken in kolonialen Bildern, das selbstverständlich auch in der Plakatwerbung seinen Niederschlag fand. So gesehen erzählen die Bestände der Plakatsammlung nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch sehr viel über die Gegenwart, in der wir leben.

Text: Kito Nedo
Fotos: Pati Grabowicz

Künstlerin und Theaterpädagogin

Kapi Kapinga Grab

Seit über zwanzig Jahren hat das biennale wildwuchs festival einen festen Platz auf der Agenda der heimischen Performing Arts-Szene. Hinzu kommt das Vermittlungsformat wildwuchs unterwegs, das über das Festival hinaus mit Institutionen aus Kultur und Bildung in einen künstlerischen Dialog tritt und nachhaltige Prozesse mit ihnen anstösst.

Die Performancekünstlerin, Theaterpädagogin und ZHdK-Dozentin Kapi Kapinga Grab ist seit 2022 Teil des Vereins hinter dem Festival. In der kongolesischen Metropole Kinshasa geboren, führte sie ihr Weg nach zahlreichen Engagements im Ausland (u.a. dem Théâtre Manège-Mons in Belgien) vor 25 Jahren in die Schweiz. Heute verantwortet sie gemeinsam mit einer mehrperspektivischen und intersektionalen Programmgruppe aus unterschiedlichen künstlerischen Hintergründen das Festivalprogramm in Basel. Für Kapinga Grab eine notwendige Herangehensweise:

«wildwuchs ist wie ein Sauerteig, der lebt und sich in konstantem Wandel befindet. Und wie bei jedem guten Gericht sind die Arbeitsweise und die Menschen dahinter mindestens so wichtig wie die Zutaten, mit denen man arbeitet.»

Diese gemeinsame Entscheidungsfindung ist bezeichnend für den anhaltenden Transformationsprozess, dem sich wildwuchs unter ihrer künstlerischen Leitung unterzieht. «Vor der Programmkuration und der kreativen Arbeit mussten wir uns zunächst fragen, mit wem und welcher Expertise wir zusammenarbeiten möchten.» Wie auch in ihren anderen Führungsrollen stellte sich für Kapinga Grab durch die neue Position und die damit verbundene Macht zwangsläufig die Frage nach dem richtigen Umgang damit. In der Praxis bedeute dies die Fähigkeit, Macht abgeben zu können, die Expertise anderer anzuerkennen und gemeinsame Entscheidungen mitzutragen, selbst bei unterschiedlicher Sichtweise. «Alleine kämpfen geht nicht. Wir unterstützen uns gegenseitig, und die Mitarbeit der Programmgruppe ist für das Festival eine enorme Bereicherung», führt sie aus.

In einem zweiten Schritt folgte die Aufgabe, einen inklusiven Raum zu schaffen, in dem es möglich ist, gerne miteinander zu arbeiten. Kapinga Grab hierzu: «Wenn es dir und mir gut geht, können wir besser miteinander arbeiten.» Die eigene künstlerische Praxis, aber auch die Erfahrungen als Dozierende im Bereich Critical Social Practice in Art Education an der Zürcher Hochschule der Künste, haben ihren Blick hinsichtlich unterliegender Ausschlussmechanismen in den Organisationen der Darstellenden Künste geschärft. So liegt ein Schwerpunkt von Kapinga Grabs Arbeit auf der intensiven Auseinandersetzung und Sichtbarmachung dieser strukturellen Zusammenhänge sowie der künstlerischen Bespielung des Handlungsbedarfs, der daraus resultiert. Im wildwuchs-Kontext erfolgt dies radikal, an der Wurzel: «Damit wir auch intern mehr Zugänge schaffen können und das Festival als Ganzes ‹wild wuchern› kann, braucht es den entsprechenden Nährboden.»

Die Umsetzung dieses Anspruchs gestaltete sich für den selbsterklärten Kulturverein für Diversität, Inklusion und Zugänglichkeit jedoch schwierig aufgrund der Natur, die Festivalformate inhärent mit sich bringen: begrenztes Budget, wenig Stellenprozente, temporäre Anstellungsverhältnisse und bedingte Flexibilität den Bedürfnissen der Mitwirkenden gegenüber: «Als wir uns an die Arbeit gemacht haben, war uns bereits in der Konzeptionsphase klar, dass wir bisher kaum mitgedacht worden waren und das Format ‹Festival› an sich sowohl nach innen als auch nach aussen nur bedingt zugänglich ist.»

Festivals müssten neu gedacht werden, und bereits bei der Planung sollten jene Personen dabei sein, die mensch vermehrt inkludieren möchte. Dies beschränke sich nicht nur auf das Publikum und die Auswahl der Künstler:innen, die sonst wenig Sichtbarkeit erfahren, sondern müsse sich auch auf die Entscheidungsträger:innen übersetzen. Gemeinsam mit ihrem Team versucht sie die bisher gewonnenen Erkenntnisse in ein aktives Handeln zu übertragen und Prozesse fortlaufend entsprechend anzupassen. Das Risiko, dabei zu scheitern, nehmen sie gerne in Kauf: «Wie bei jedem Wagnis gibt es keinen Erfolgsgarant für das, was wir hier ausprobieren. Aber unsere Herangehensweise gibt uns Vertrauen. Wir müssen experimentieren, damit wir aus gängigen Praxen ausbrechen und Strukturen dekonstruieren und dekolonisieren können.»

Die Transformation beschränkt sich nicht nur auf interne Strukturen. So wandelt sich das Festival auch äusserlich, und die diesjährige Ausgabe unter dem Titel m_other tongues stellt eine weitere Zäsur dar: Neuerdings findet wildwuchs an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden mit wechselnden Themenschwerpunkten statt. Damit will sich das Format an die Gewohnheiten der verschiedenen Publikumsgruppen anpassen. Elf Tage Programm mit gleichzeitig stattfindenden Inhalten, an einer Reihe von Orten mit unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten – wie es bisher üblich war – seien hierbei alles andere als inklusiv, beispielsweise in Anbetracht der Barrierefreiheit für Menschen im Rollstuhl. Der Wandel sei nötig, um auch künftig fortzubestehen: «Wir kitzeln gerne an Gewohnheiten und möchten den Festivalbegriff hinterfragen. Statt ‹Warum kommt eine gewisse demografische Gruppe nicht zu uns?› müssen wir uns die Frage stellen: ‹Wie können wir Hürden sukzessiv abbauen und vereinfachte Zugänge schaffen?›»

Text: Samara Leite Walt
Fotos: Pati Grabowicz

Musiker:in

Luci Bling

Die innere Härte zu überwinden ist nicht immer einfach – besonders im Hip-Hop und Rap. Aber es lohnt sich: Mit der siebenköpfigen Rap-Crew WAS DAS? berieselte Smeshi schon Tausende Menschen mit Inhalten, die den Szeneklischees eine Abfuhr erteilen. Eine umgedichtete Nationalhymne oder eine Ode an das verklemmte Kleinstadtleben bilden dabei nur die Spitze der Selbstreflexion. Mit neuem Projekt und mit neuem moniker geht Luci Bling (they/them) diesen Weg weiter und lässt die Hörer:innenschaft an diesem Prozess teilhaben. Mit persönlichen Songs über Sorgen, Schwächen oder Misgendering zeigt Luci Bling, dass es möglich ist, zu träumen und sich selbst treu zu sein.

Bling heisst so viel wie Glitzer, cuteness und Kitsch. Ganz im Sinne des Titels der Debüt-EP Gloss und Hype hat Luci Bling mit diesem Projekt für sich ein Outlet für Stimmungen im Bereich des Pop bis Hyperpop geschaffen, ohne dabei einzelne Genres für sich beanspruchen zu wollen. Zu fluid seien die musikalischen Interessen. Sagt aber auch: «Wenn ich mir vorstelle, an ein Rap-Konzert zu gehen, klingt das für mich weniger cute, als an ein Pop-Konzert zu gehen.»

«Ich wird widr mol misgendered / ineme Backstage voller Rapper / setze uf die altebewährti Technik / wär isch krass, wär krässr»

aus dem Song «Nice Try»

Wenn Luci Bling auf der Bühne steht und performt, mag man kaum mehr wegsehen: Lässig ist der Look, charismatisch die Gesten, entblössend die Ehrlichkeit der Texte. «Zu performen ist mir schon immer leichtgefallen», verrät Luci Bling schmunzelnd, «aber geplant war es nicht, das ist einfach so passiert.» Diese Nonchalance scheint zu resonieren: Während dem ESC wird Luci Bling (als Smeshi) wieder mit WAS DAS? auf der grossen Bühne am Barfüsserplatz in der Basler Innenstadt auftreten. Aber auch als Luci Bling sicherte they sich schon die Aufmerksamkeit der Independent Musikszene: als Opening Act des diesjährigen Kick Ass Awards von Radio 3FACH in Luzern und zwei Tage später in der brandneu eröffneten Konzerthalle Kuppel hier in Basel. Es waren nicht nur die allersten Konzerte des neuen Soloprojekts, sondern auch das erste Mal, dass Luci Bling ohne Crew allein auf der Bühne stand.

«so viel am verlerne, doch no immr lerne, wie mi sälbr liebe, ohni inneri Härti, ohni immr zerscht mir sälbr pressure mache, es isch endless so tief und fescht verankert»

aus dem Song «Nacht»

Rap ist noch immer geprägt von toxischen Genderklischees. Artists mit unreflektierter Haltung verbreiten diese Ideen an Scharen von jüngeren Fans. Auch Luci Bling, vor zehn Jahren noch am Anfang dieses Schaffens, war sozialisiert durch eine Kultur des besser-fetter-krasser-Seins. «Es fehlten Vorbilder», sagt Luci Bling rückblickend und hält fest: «Es war und ist ein langer Prozess, auf die innere Stimme zu hören und dieser zu vertrauen.» Anklang findet das jedoch nicht bei allen, und regelmässig landen transphobe Hasskommentare in der Inbox – diese verletzen, machen Luci Bling aber auch ein bisschen stolz. Als Musiker:in, welche:r versucht, so authentisch wie möglich zu sein, wächst Luci Bling plötzlich selbst in eine Art von Vorbildfunktion für Genderqueere Rapper:innen hinein und begegnet patriarchalen Machtstrukturen mit Selbst-Liebe und cuteness. Die Reise durch die Pop-Galaxie geht also weiter, mit neuen Songs, neuer EP und viel Bling, spätestens dann im Herbst.

Text: Mirco Kaempf
Fotos: Pati Grabowicz

Dragqueen

Odette Hella’Grand

Odette Hella’Grand ist eine Kunstfigur. Eine elegante, classy Drag Queen, umgeben vom Glamour des alten Hollywoods. Erschaffen von einem sehr grossen, sehr muskulösen Mann, der als Frau die Bühne beherrscht. Und gerade dieser Widerspruch ist für sie zu einer intensiven Symbiose geworden. «Odette erlaubt mir, direkter und ehrlicher, böser zu sein, ohne mich zu entschuldigen», sagt sie. Doch so sehr sie die Rolle lebt, es bleibt eine klare Trennung zwischen Bühne und Privatleben: «Um 22:30 Uhr schminke ich mich ab und bin wieder ich.» Odette bevorzugt für ihr Schaffen den Begriff der Travestie. «Ich distanziere mich von der amerikanisierten Drag-Kultur à la RuPaul’s Drag Race. Da geht es um Drama und Geld. Für mich zählt das Handwerk: selbstgemachte Kostüme, eigene Perücken, das Zusammenstellen einer Show.» Statt lauter Selbstdarstellung setzt sie als Host auf Zusammenarbeit und Talentförderung.

«Egoismus hilft der Drag-Szene nicht. Ich möchte andere auf die Bühne holen.»

Basel mag keine riesige Drag-Metropole sein, doch Odette hat massgeblich dazu beigetragen, eine Szene aufzubauen. «Vor zehn Jahren gab es hier noch keine abendfüllenden Drag Shows», erinnert sie sich. «Mir war wichtig, Drag aus der Clubszene herauszuholen und als Kunstform wertzuschätzen. Nicht um halb zwei nachts zwischen DJs aufzutreten, und eigentlich wollen alle nur dancen. Ich will, dass das Publikum gezielt für uns kommt.» Und mittlerweile kommen viele: «Vom 12-jährigen Bub, der sich gewünscht hat, mit seiner Familie zu meiner Show zu kommen, bis zum 95-jährigen Opi, der einfach neugierig ist. Ich frage jeweils, wer zum ersten Mal bei einer Drag Show ist, und es sind immer etwa 50 Prozent.» Als fahnenschwingende politische Aktivistin sieht sie sich dabei nicht. «Natürlich ist mein Auftritt ein Statement. Ich bin ein Mann, der als Frau auf der Bühne steht und damit Gesellschaftsnormen hinterfragt. Ich will, dass mein Publikum sich unterhält, lacht – und gleichzeitig während des Lachens auf einmal zu denken beginnt.» Eine ihrer emotionalsten Erinnerungen ist ein Auftritt auf einer Beerdigung. «Nach der Show drückte mir der Witwer die Grabblumen seines Mannes in die Hand und sagte: ‹Das ist der letzte Blumenstrauss meines Mannes für deine Kunst.› Ich bin mit 200 Rosen nach Hause gelaufen und wusste: Das, was ich tue, bedeutet den Menschen wirklich etwas.» Während der ESC-Woche in Basel übernimmt sie die Moderation des Eurovision Village in der Messe Basel. Gemeinsam mit Tanja Dankner und Joël von Mutzenbecher teilt sie die Bühne mit Conchita Wurst, Anna Rossinelli, Rednex und SNAP!. «Ich erinner mich, 2007 hab ich beim ESC DQ aus Dänemark gesehen und dachte: What the fuck, das ist ein Mann? Sie singt in ‹Drama Queen› darüber, dass sie mit ihrer Show den grauen Alltag farbig werden lässt. I mean, hell yes, nothing better than that. Der ESC wird für mich die queere, glitzernde Party des Jahrhunderts.» Wer noch mehr Odette live erleben möchte: Am 16. Mai von 19:00 bis 23:00 Uhr tritt sie im Sudhaus auf.

Text: Anja Adam
Fotos: Pati Grabowicz

Musiker:in

Denis Wagner

Denis Wagner (they/them) schreibt Gedichte, macht Theater und singt auf grossen Festivalbühnen weltweit. Aktuell auf Europatournee mit der Metal-Band Zeal & Ardor, dann mit der eigenen Band Hæsin im Mai auf der Barfüsserplatz-Bühne des ESC-Rahmenprogramms. Wir haben uns mit Denis Wagner über das Berühmtsein, über die Lust, auf der Bühne zu entertainen, und über Glaubenssätze unterhalten.

Für Denis Wagner war es immer schon wichtig, aufzutreten und zu performen. Auf Kinderfotos sieht man, wie Denis singt und Kerzen als Mikrofon-Ersatz benutzt. Mit sechs Jahren konnte Denis bereits ganze Bücher lesen. «Nicht dass ich gescheiter als andere war, aber ich fand Geschichten schon immer mega cool.» Das gilt auch für die Musik und das Theaterspielen. Mit fünfzehn hatte Denis schon zwei Bands mitbegründet und auch Bühnenerfahrung gesammelt:

«Ich wollte immer berühmt werden.»

Heute sieht Denis das anders: «Ich finde es wichtiger, frei wählen zu können, worauf ich Lust habe.»

Denis mag Dinge, die andere schräg finden, zum Beispiel Blutegel oder Silberfischlein. Letztere kommen in einem Kinderbuch vor, das Denis geschrieben hat und das darauf wartet, abgeschlossen zu werden. Blutegel spielten in Denis‘ Theaterstücke die Hauptrolle. «Horror and the Healer» hiess das Stück von Denis Wagner, Luzius Bauer und Leonie Merlin Young, welches 2021 an den Treibstoff-Theatertagen inszeniert wurde. «Ich bin an Sachen interessiert, die ambivalent sind und bei denen man eine neue Sicht entdecken kann. Ich mag es, Glaubenssätze zum Einstürzen zu bringen.» Dass Denis in einer Metal-Band singt, passt zu dieser Ambivalenz. Denis sieht sich nicht als Metal-Musiker:in. Denis‘ Band Hæsin, für die Denis Texte auf Hochdeutsch schreibt, ist eher im Indie-Pop/-Rock anzusiedeln. Denis‘ Stimme kann samtweich klingen – «aber ich schreie auch gerne auf der Bühne», sagt Denis über den Einstieg bei Zeal & Ardor im Jahr 2016. Schon im Stück Punk Rock im Jungen Theater Basel hat Denis 2010 auf der Bühne gesungen und geschrien. Dort konnte Denis Musik und Theater verbinden. «Ich mag es, als Entertainer wahrgenommen zu werden.» Wer schon mal an einem Zeal-&-Ardor-oder Hæsin-Konzert war, weiss, dass Denis nicht nur singt, sondern eine ganz bestimmte Rolle einnimmt. Denis tanzt und bewegt sich gerne auf der Bühne – die Erfahrung als Schauspieler:in wird dabei deutlich.«Ich finde es toll, dass auf der Bühne alles erlaubt ist.» Auf der Strasse würde Denis nicht unbedingt Röcke tragen, doch auf der Bühne gibt es ein Gefühl von Sicherheit und Unbeschwertheit. Auf die Frage, ob Nemos Sieg gerechtfertigt sei, antwortet Denis: «Wer sagt, das sei ein politischer Entscheid gewesen, soll sich selbst mal auf einen drehenden Kreisel stellen und Oper singen.» Trotzdem sei der Entscheid gesellschaftlich wichtig. «Nemo hat sich gleich nach dem Sieg für den Eintrag des dritten Geschlechts im amtlichen Personenregister eingesetzt. Ich finde es reizvoll, im Pass gar keinen Geschlechtseintrag zu haben, anstatt einen «dritten» Eintrag wie «Divers», unter dem zahlreiche Identitäten zusammengefasst würden.» Auf das Konzert auf der Barfüsserplatz-Bühne mit Hæsin freut sich Denis. «Ich finde es wichtig, dass wir als ESC-Gastgeber-Stadt ein tolles Programm bieten. Und der Barfi ist emotional immer aufgeladen.» Wer weiss, vielleicht bringen Hæsin ein paar bisher unbekannte Songs. Vier neue Lieder wurden bereits fertig aufgenommen. Das neue Album soll noch dieses Jahr erscheinen.

Text: Danielle Bürgin
Fotos: Jana Jenarin Beyerlein

Kurator

Benedikt Wyss

Wer in einer Gegenwart, in der sich Gewalt zum globalen politischen Leitmotiv entwickelt, ein Festival zum Thema Gewalt ins Herz einer Stadt pflanzt, ist zumindest waghalsig – oder abenteuerlustig. Benedikt Wyss, Kurator und Co-Leiter im Kunstverein SALTS, ist beides. Und weil das Theater Basel jemanden brauchte mit einem guten Gespür für komplexe Themen und dem richtigen Timing für etwas Aufruhr, fragte es bei Wyss an, ob er ein Happening veranstalten wolle zum Thema Gewalt.

«Gewalt ist derart omnipräsent»,

sagt Wyss. «Aber wir reden zu wenig darüber. Das interessiert mich.» So wird in Basel bald etwas passieren, das zwar an vergangene Happenings anknüpft, in Wyss’ Arbeitsbiografie aber ein neues Kapitel aufschlägt.

Benedikt Wyss hat Geschichte und Sport studiert und das Gymnasiallehrdiplom gemacht. Erst danach bewegte er sich in die Kunstszene hinein.
«Mich interessiert das Vermitteln. Also die Frage: Wie kommunizieren wir?» Bei einem Aufenthalt in Berlin, wo er sich an der Universität der Künste zum Kurator ausbilden liess, hat er 2013 per Zufall den Social Muscle Club entdeckt und nach Basel importiert.

Dafür braucht es zunächst einen Raum. Zum Beispiel den Ballsaal im Basler Fünfsternehotel Les Trois Rois. Dort treffen sich dann ganz normale Leute, neugierig aber aufgedonnert, und lernen sich unter der Leitung von Hosts in kleinen Gruppen kennen. Ziel ist es, sich etwas zu schenken. Zwischendurch gibt es fulminante Show-Einlagen und betörende Überraschungen, die den Social Muscle Club zu einem Gesamterlebnis aus Selbsthilfegruppe und kollektivem Rausch verknoten. Wer mal da war, will wieder hin. Die gute Nachricht an dieser Stelle: 2026 wird eine Neuauflage stattfinden, ein Ultra Social Club.

Das Veranstaltungsprinzip Wyss spiegelt sich auch im von ihm erfundenen Draisine Derby. Dort fahren einmal im Jahr verschiedene Teams mit selbst gebastelten Gefährten auf ein paar stillgelegten Güterzugschienen um die Wette, und auch wer am schönsten scheitert, gewinnt einen Preis. «Wahrscheinlich ist es der wichtigste Pokal», sagt Wyss.

Jetzt aber ein Social Fight Club. Mustermesse der Gewalt am Theater Basel. Was passiert da?

Kontext ist eine Inszenierung mit dem knalligen Titel Ode an die gewaltbereite Jugend. Wyss kuratiert gemeinsam mit Inga Schonlau drumherum ein zweiwöchiges Happening, das Gewalt in all ihren Facetten auf die Spur geht. Es wird Workshops geben und Streitgespräche, Selbstverteidigungskurse und eine Game-Nacht.

«Wir möchten einen Raum öffnen für körperliche Erfahrungen und kollektive Reflexion»,

sagt Wyss.

Es wird also, wie so oft, wenn Wyss seine Transmissionsriemen zwischen einem Ort, einem Thema und der Öffentlichkeit aufspannt, um etwas Gemeinsames gehen. Und natürlich ist dieses Zusammensein und die Suche nach einer gemeinsamen Sprache die einzig richtige Antwort auf das politische Leitmotiv unserer Gegenwart, nämlich Gewalt.

Es wird Hausregeln geben, das schon. Doch Geld oder Status gehören nicht zu den Eintrittsvoraussetzungen im ersten Social Fight Club von Basel. Wyss hofft, dass möglichst viele vorbeikommen.

Text: Daniel Faulhaber
Fotos: Jana Jenarin Beyerlein

Mitwirkende und Autor:innen

ABOUT

Bebbi Zine erschien zum dritten Mal im Mai/Juni 2025, um die Basler Kulturszene im Rahmen des ESC und der Kunstmesse-Woche zu feiern, zu fördern und zu vernetzen – initiiert und herausgegeben vom Verein Bebbi Zine

Autor:innen
Anja Adam, Danielle Bürgin, Daniel Faulhaber, Mirco Kämpf, Samara Leite Walt, Kito Nedo, Timo Posselt

Fotograf:innen
Pati Grabowicz, Jana Jenarin Beyerlein

Redaktion
Sina Gerschwiler, Philomena Grütter, Samara Leite Walt, Claudio Vogt

Lektorat
Rosmarie Anzenberger (Deutsch), Rachel Walther (Englisch)

Spezieller Dank
Elena D’Orta, Maurice Haug, Chrissie Muhr, Kito Nedo, Nicolas Schmutz

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